Aufführung des Literaturkurses begeisterte mit zeitgemäßer Interpretation des Stückes

Aktuelle Anspielungen bot die Inszenierung des Literaturkurses zahlreich. (Fotos: Krause)

Der nahezu unbesiegbare Held Siegfried, die Intrigen am burgundischen Hof des Königs Gunthers und der heimtückische Mord durch Hagen sowie Kriemhilds Rachefeldzug - das "Nibelungenlied" ist auch 800 Jahre nach der Niederschrift noch präsent und gehört weiterhin zum festen Repertoire auf deutschen Theaterbühnen. Doch bei der schwierigen Rezeptionsgeschichte dieses vermeintlichen „Nationalepos“ der Deutschen stellt sich bei jeder Inszenierung die Frage, wie man den Stoff zeitgemäß interpretiert. Denn die sprichwörtliche „Nibelungentreue“ ist spätestens seit der propagandistischen Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus ein heikler Begriff. Diese schwierige Frage haben sich auch die mitwirkenden Schülerinnen und Schüler des Literaturkurses unter der Leitung ihres Lehrers Jens Reid gestellt und sich lange Gedanken gemacht, wie man das Stück zeitgemäß inszenieren könnte.

Das Ergebnis dieser Gedanken begeisterte in mehreren Aufführungen das Publikum, weil das Stück zugleich witzig, oft ironisch, teilweise zynisch und dann wieder nachdenklich ist. „Die Reaktion der Zuschauer war einfach nur toll und hat uns alle darin bestätigt, dass die vielen Ideen und die investierte Arbeit sich gelohnt haben“, freute sich der Schüler und Siegfried-Darsteller Tim Haufschildt über die durchwegs positiven Reaktionen und auch Literaturkurslehrer Jens Reid zeigte sich mehr als zufrieden: „Das ist für alle Beteiligten natürlich eine schöne Bestätigung für den vorausgegangenen Einsatz. Besonders schön fand ich dieses Jahr, wie intensiv und selbstständig sich die Schülerinnen und Schüler bei der Entwicklung des Stoffes mit eigenen Ideen eingebracht haben.“ Und auch Schulleiter Bruno Bermes war von der Aufführung beeindruckt: „Für die engagierte Arbeit, die weit über die normale Unterrichtszeit hinausging, kann man allen Beteiligten nur herzlich danken. Und die Inszenierung zeigt abermals, dass die Aufführungen des Literaturkurses fester Bestandteil des kulturellen Lebens unser Schule sind.“

 

Hier noch die Bilder der Aufführung als Galerie

Es folgt eine Rezension des Stückes

Nibelungen „reloaded“- Kriemhild kriegt sie alle

Von Robert Krause.

Schülertheater. Aufführung des Literaturkurses. Die Nibelungen. Modernisiert, allein der Titel ist Programm: Kriemhild kriegt sie alle. Im Magen zieht es schon leicht, dumpfe Erwartungen machen sich breit. Zu präsent sind noch die Eindrücke, der übers Knie gebrochenen Faust-Inszenierung, die man mit den Schülern, die heute ein Großteil des auf der Bühne stehenden Ensembles bilden, besucht hat: Wagner tanzt in Unterhose, der Faust-Darsteller entledigt sich auch dieses letztes Bekleidungsstückes und springt wie ein hormongeplagter Teenager auf der Bühne herum. Warum? Egal, ist doch irgendwie lustig und die armen Schüler, die von ihren Lehrern ins Theater geschleift werden, haben so vielleicht ihren Spaß an klassischen literarischen Stoffen. Wird es auch heute Abend wieder ungemein lustig, sprich albern? Gibt es bemüht aktuelle Anspielungen, um dem angestaubten Stoff betont bemüht neues Leben einhauchen zu wollen?

Ach, egal, mal gucken, es gehört ja irgendwie zum Schulleben dazu, sich als Deutschkollege so etwas anzuschauen und anschließend höflich zu klatschen. Warum auch nicht, sie werden sich sicherlich alle recht viel Mühe gegeben haben. Und ist ja schließlich „nur“ Schultheater. Und dann der erste Auftritt des Helden, der alle Befürchtungen wahr werden lässt: Siegfried ist ein Popstar, dessen Erscheinen zu hysterischem weiblichem Gekreische führt, die ihn wie einen Youtuber auf der Gamescom mit ihren gezückten Handys umzingeln.

Doch dann zugleich die Überraschung. Es macht unheimlichen Spaß, sich das anzuschauen. Woran liegt es? Man sieht allen Akteuren auf der Bühne an, dass sie hier nicht etwas ausführen, was der belesene und mit reichlich dramaturgischem Vorwissen ausgestattete Literaturkurs-Lehrer sich für sie ausgedacht hat, um den Balance-Akt aus klassischer Inszenierung und aktueller Gesellschaftskritik zu wahren. Hier stehen junge Menschen auf der Bühne, die ihre ganz eigene Version der Nibelungen darbieten. Die sich dabei etwas gedacht haben, aber viel wichtiger, die hinter dem stehen, was sie zeigen. Weil sie die Inszenierung inhaltlich zum wesentlichen Teil selber gestaltet haben, also ihre eigenen Ideen umgesetzt haben.

Und noch wichtiger, die dabei Spaß haben. Der Mensch ist nur dann wirklich Mensch, wenn er spielt oder so ähnlich, so hat es doch Schiller mal behauptet. Und anscheinend Recht behalten. Allein Tim Haufschildt als Siegfried zu erleben, bereitet ungemein Freude und das vor allem, weil es ihm eine Freude zu sein scheint. Nein, ist, so gut kann er gar nicht schauspielern können. Hier wird nicht eine Rolle gespielt, sondern spielerisch eine Rolle angenommen. Man merkt ihm an, wie aufregend es sein kann, mal jemand anderes zu sein. Ich kenne ihn, wie ich auch viele der anderen Schülerinnen und Schüler auf der Bühne kennen. Ich kenne sie durchaus als interessierte, intelligente und motivierte Schüler aus dem Deutsch-Leistungskurs und dennoch habe ich das Gefühl, sie heute zum ersten Mal wirklich kennen zu lernen.

Und eine Melange aus zwei divergierenden Gefühlen entwickelt sich dabei, Stolz und Neid. Stolz, weil sie so gut sind, indem was sie tun. Und Neid, weil sie das, was sie hier erleben, im Unterricht meistens nicht haben, vielleicht auch gar nicht haben können. Die Stoffe sind auch im Unterricht literarisch, aber die Auseinandersetzung damit eine fundamental andere. Sprachliche Analyse. Was müssen wir denn in der Klausur können? Gibt es da nicht ein noch einfacheres Raster, wie man so eine Szenenanalyse genau machen soll? Ja, hier bitte schön, denkt bitte an den richtigen Modus und die sprachliche Darstellungsleistung, die macht 28 Punkte aus und nach APO-GOSt §13, Absatz 2  bekommt ihr für verhäufte Verstöße maximal einen Abzug von 2 Notenpunkten.

Auch im Literaturkurs geht es darum, eine gute Leistung zu liefern, auch Herr Reid trägt am Ende des Schuljahres dafür Ziffern im Schild-Noten-Webmodul ein, wird zwischendurch auch mal mehr Anstrengungsbereitschaft angemahnt und fehlende Textkenntnisse als defizitär bezeichnet haben. Aber das ist weit weg, wenn man die Schüler bei der Aufführung erlebt. Hier passt alles zusammen. Nervosität, die anspornt, und Spielfreude, die viele über sich hinaus wachsen lässt, wenn sie die Reaktion des Publikums vernehmen. Lacher an der richtigen Stelle und staunendes Schweigen angesichts eines gelungenen Bühnenbilds mit eindrucksvollen Bildinszenierungen mit atmosphärisch passender Musik, die die Begrenztheit der technischen Möglichkeiten in den Hintergrund treten lassen. Die Anspielung auf das berühmt-bewegende Bild aus dem „Situation-Room“, bei dem Obama samt seines Stabs die Eliminierung des Staatsfeinds Nr. 1 alias Osama bin Laden live verfolgt, wirkt alles andere als aufgesetzt, sondern beklemmend: Der Krieg als virtuelles Computerspiel.

Die sprichwörtliche Nibelungentreue dadurch zu konterkarieren, dass Gunther den Sprechduktus Hitlers übernimmt, scheint die einzig sinnvolle Antwort aus heutiger Sicht. Und dann der Umschwung ins Psychologische, die einfühlsame Darstellung der Metamorphose eines trauernden in einen hassenden, auf Rache sinnenden Menschen. Kriemhild hat allen Grund dazu und die Sympathien des Zuschauers liegen zunächst ganz bei ihr und dann doch das eigene Erschrecken darüber, wie der nachvollziehbare Wunsch nach Rache eine Gewalt heraufbeschwört, die jegliches Maß verliert und nur neues Unrecht und noch mehr Elend schafft, ohne dass durch den blutigen Rachefeldzug nur ein Hauch von Gerechtigkeit erreicht wird. Da ist das Stück auch ohne Modernisierungen nach wie vor aktuell, da der Griff zur Gewalt – und sei er zunächst scheinbar noch so berechtigt – wieder nur noch mehr Gewalt gebiert. Denn Kriemhild kriegt sie wirklich alle.

Tatsächlich, das kriegt sie. Nicht nur ihre Gegner, sondern auch ihr Publikum – dank eines Ensembles und eines perfekten Zusammenspiels sowie einer professionellen Leitung durch Jens Reid. Das zeigte auch die Diskussion der Schauspieler mit dem Publikum, dass hier etwas passiert ist, was über einen höflichen Applaus, weil man die Schüler ja als Schüler kennt und sie sich ganz passabel geschlagen haben, hinausgeht. Und man spürt, dass hier die Schülerinnen und Schüler etwas erlebt haben, was sie in Erinnerung behalten werden. In zwei Jahren wird vermutlich jegliches Wissen über das Bismarck’sche Bündnissystem oder die Ordnungszahlen des Periodensystems der Elemente verblassen, aber an dieser Aufführung werden sie lebhafte Erinnerungen haben. Das ist ein eigener Wert an sich, der sich schwer kompetenzorientiert definieren lässt. Vielleicht trifft es der eingangs zitierte Schiller da tatsächlich am besten: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“